Montag, 28. Februar 2022

Rosenmontag

Manch Montag machen Menschen Sachen,
Feiern, trinken, tanzen, lachen.
Jedes Mal die gleiche Masche,
die halbe Stadt in Schutt und Asche.
Rausch und Rauch folgt auf den Knall,
dort der Krieg, hier Karneval.

Der Umzug lang, Gesichter länger,
ein Bundeskanzler auf nem Hänger,
Verkleidung löst die Lust bei vielen,
im Trubel, ein paar Narren spielen
granatenvoll noch Volleyball,
dort der Krieg, hier Karneval.

Nicht wissen, was die Nacht heut bringt,
beschissen, weil kein Vogel singt,
ein Glatzkopf will ne Schlägerei,
die halbe Bar schlägt ihn zu Brei;
die Welt erhofft sich diesen Fall,
dort der Krieg, hier Karneval.

Ein Clown läuft über’n Rathausplatz,
verirrte Frau sucht ihren Schatz,
ein Mann kennt seinen Namen nicht,
ne Spur aus Blut klebt im Gesicht,
mit drei Promille im Redeschwall,
dort der Krieg, hier Karneval.

Ein Doppelshot vom Doppelkorn,
bringt an der Thekenfront nach vorn.
Das letzte Bier war eins zu viel,
ein Sechserpasch beim Würfelspiel
bedeutet einen Winning Streak,
hier Karneval, und dort der Krieg.

Montag, 18. Oktober 2021

Döner-Radar

Da mir zum Schreiben die Inspiration fehlt, hole ich sie mir. Und zwar in Form kleiner Schreibchallenges, deren Ergebnisse ich hier teile. Die Challenges sind simpel. Ich bekomme eine Überschrift vorgegeben, dazu einige Wörter, die ich in meinen Text einbauen muss, wie bei einer Reizwortgeschichte. Für den Text habe ich sieben Tage Zeit...


Challenge Nr. 19

vermöbeln
Cevapcici
schmelzend
lauschig
Zugzielanzeiger


Überschrift: Döner-Radar

Letztens stand ich mal wieder verloren am Freiburger Hauptbahnhof, Gleis 1. Der Zugzielanzeiger informierte mich alle zehn Minuten über die zunehmende Verspätung meines Zuges, der miese Kaffee in meiner Hand wurde immer lauer und die laue Stimmung in meinem Kopf wurde immer mieser. Irgendwann erreichte ich den Punkt, an dem ich kurz davor war, überzukochen. Ich rief meine Freundin an um mich tierisch aufzuregen, damit ich mich abregte. Das funktioniert meistens recht gut und am Ende führten wir ein ganz normales Gespräch. In diesem Gespräch habe ich zum ersten Mal in meinem Leben das Wort ‚Döner-Radar‘ gehört. Die Rede war von einer Freundin, die angeblich über einen solchen Döner-Radar verfügte. Sie war in der Lage, die besten Dönerläden Freiburgs aufzuspüren und es vergingen höchstens ein paar Tage, sobald ein neuer Dönerladen eröffnet hatte, bevor dieser auch von ihr gefunden und ausprobiert wurde. Dann wurden ein paar Freunde zusammengetrommelt und gemeinsam ein Großteil der Karte durchprobiert.
Ich dachte nur: „Döner-Radar, das klingt catchy. Es müsste eine App geben, die so heißt.“ Vielleicht eine, die anzeigt, wo sich in der Nähe der nächste Dönerladen befindet, der Cevapcici anbietet und die mit einem piependen Geräusch Eilmeldungen ausspuckt, sobald man sich einer lohnenden Dönerbude nähert oder in der Heimatstadt eine neue Döneranlaufstelle zu finden ist. In der App muss man sich natürlich ein Benutzerprofil anlegen. Darin ist ein Foto zu sehen, auf dem man mit Sonnenbrille in den Lieblingsdöner beißt. Darunter steht dann: „Kein Kraut, viel Fleisch“, „Vegan mit allem“ oder „Bloß keine Tomaten“, der Dönermann respektive die Dönerfrau scannt die App und weiß dann sofort: Aha, so jemand bist du also. Die App-Nutzenden können Rezensionen schreiben, natürlich als Sprachnachricht. So wissen alle, wo lohnt. Eventuell gibt es noch eine Plus-Mitgliedschaft, die weitere Funktionen freischaltet. Dann kann man sich zum Döner-Tandem verabreden und trifft Menschen mit gleichem Geschmack. Oder mit unterschiedlichem Geschmack und man bestellt für die jeweils andere Person, um das individuelle Spektrum bekannter Gerichte zu erweitern. Das passiert freundschaftlich oder als Partnerbörse, das bleibt einem selbst überlassen. Nach den Elitepartner-Beziehungen und den Tinder-Bekanntschaften gibt es dann die ersten Döner-Pärchen, die bei Lahmacun wild knutschend die Menschen in den Parks und Fußgängerzonen belästigen oder sich mit wehenden Knoblauchfahnen in der Straßenbahn vermöbeln.
Die Döner-Pärchen feiern Döner-Hochzeiten in den lauschigsten Dönerbuden der Stadt. Nach der Hochzeit zeugen sie Döner-Kinder, denen sie Döner-Namen geben. Pide ist die kleine Schwester von Sucuk, der in der Grundschule zweimal sitzen bleibt, in der 9. Klasse sorgt sein Oberlippenbart für schmelzende Blicke bei den Mitschülerinnen und mit 20 wird er zum zweiten Mal Vater. Pide dagegen schafft es aufs Gymnasium, wo sie Ayran kennenlernt, den sie ein paar Jahre später heiratet. Sie schaffen es in die BILD-Zeitung, weil sie das erste Döner-Pärchen-Kinder-Ehepaar mit Döner-Pärchen-Kinder-Kindern sind. Das Döner-Tandem auf der Döner-Radar-App ist mittlerweile so populär geworden, dass es im Volksmund als ‚Dönern‘ bezeichnet wird. Jung und Alt sitzt dönernd auf den öffentlichen Plätzen oder wischt sich auf der Suche zum Dönern in der Supermarktschlange durch die App. Die beliebtesten Döner-VerkäuferInnen sind auf den immer häufiger stattfindenden Döner-Hochzeiten gern gesehene Gäste, meist liefern sie das Festessen, bisweilen halten sie die Traureden.

„Hörst du mir überhaupt zu?“ Meine Freundin ist immer noch am Telefon und tierisch sauer. Sie hat was von irgendwelchen IKEA-Möbeln erzählt und mir eine Frage gestellt, ich habe kaum zugehört und jetzt stehe ich blöd da. „Mein Zug kommt“, antworte ich knapp und es ist gar nicht mal gelogen, denn in diesem Moment trudelt der ICE nach Hamburg mit 50-minütiger Verspätung ein.

Mittwoch, 15. September 2021

Schlafende Hunde bellen nicht

Da mir zum Schreiben die Inspiration fehlt, hole ich sie mir. Und zwar in Form kleiner Schreibchallenges, deren Ergebnisse ich hier teile. Die Challenges sind simpel. Ich bekomme eine Überschrift vorgegeben, dazu einige Wörter, die ich in meinen Text einbauen muss, wie bei einer Reizwortgeschichte. Für den Text habe ich sieben Tage Zeit...

Challenge Nr. 18


Binse
gefällig
Wechselorgie
flamboyant
abstuhlen

Überschrift: Schlafende Hunde bellen nicht


Wie alle Schreibenden wissen sollten, ist das Schreiben allem voran eine Fleißfrage. Das Texteschreiben fällt mir halbwegs schwer, aber um ein Vielfaches leichter als noch vor ein paar Jahren. Das Überarbeiten hingegen, vor dem sich die meisten Schreibenden drücken, macht mir geradezu Spaß. Aber es gehört noch viel mehr dazu, wenn man erfolgreich schreiben will. Man muss nämlich lesen, wahnsinnig viel lesen. Gute Texte und hervorragende Werke um zu lernen, wie es richtig geht, schlechte Texte und miese Geschichten um zu erkennen, wie es nicht geht. Wer es mit dem Schreiben ernst meint, sollte wöchentlich mindestens fünf Stunden lesen, am besten zwanzig. Ich lese nicht einmal zwei Stunden in der Woche. Es fällt mir schwer, zu lesen, wenn es mich nicht packt und mich packen nicht einmal die herausragenden Texte, da ich mich zu packen lassen weigere. Mein Freundeskreis beschenkt mich wild mit Büchern, ständig bekomme ich Empfehlungen oder leihweise ein Buch in die Hand gedrückt. Es hilft alles nichts.
Zu Recht stelle ich mir die Frage, ob ich es mit dem Schreiben ernst meine. Die Antwort lautet: Wahrscheinlich nicht. Dass eine Reise von 1000 Meilen mit dem ersten Schritt beginnt ist eine Binse und womöglich habe ich die ersten Schritte getan. Dabei bin ich aber nicht der zielgerichtete Wanderer, der strammen Schrittes seine Meilen hinter sich legt. Viel eher bin ich am Flanieren und lasse keine Gelegenheit aus, stehenzubleiben und die Landschaft zu betrachten. Meine zaghaften Schreibversuche sind stetig, stets bemüht und führen zu nichts. Die Ergebnisse sind meist gefällig, selten außerordentlich und selbst geneigte LeserInnen neigen zum Vergessen meiner Texte. Ich stelle mir viele Fragen nach dem Wie und nach dem Was, über all dem steht die Frage nach dem Sinn. Mein Kopf qualmt regelmäßig. Das nervt und ich versuche etwas dagegen zu tun.
In letzter Zeit gehe ich gerne mal mit dem Hund, das ist gut für mein Wohlbefinden. Der Hund ist eine Sie, gut erzogen, geht Fuß, wenn man „Fuß“ sagt, will immer spielen aber wenn das nicht geht ist das auch okay und wenn man eine Weile nichts sagt, läuft sie zum nächsten Busch um abzustuhlen. Die Hundescheiße mit dem Kotbeutel aufzuheben gehört sicher nicht zu meinen Lieblingsaufgaben, aber ein paar kleine Unannehmlichkeiten nehme ich gerne in Kauf. Sie schaut mich immer mit diesem Blick an, der mich wissen lässt, dass sie mich mag und der mich glauben lässt, dass sie meine Probleme versteht und dass das alles gar nicht so schlimm ist. Dann geht es mir besser und der Kopf qualmt etwas weniger, vielleicht liegt das aber auch an der Bewegung und der frischen Luft.
Letzte Woche saß ich mal wieder an einem Text und wusste nicht weiter. Meine Freundin kam ins Zimmer. Sie trug das flamboyante Sommerkleid, das ihren feurigen Charakter so herrlich unterstreicht. Neugierig fragte sie mich nach den fünf Wörtern, da nicht sie es war, die mir die Wörter für die Challenge vorgegeben hatte, sondern mein Freund Hanno aus Berlin. Leicht argwöhnisch stolperte sie über die „Wechselorgie“. Sie hielt den Begriff für versauten Gruppenspaß, ich musste sie enttäuschen und darüber aufklären, dass ich vermutlich über Fußball schreiben würde. Sie hasst Fußball und das Rasentheater interessiert mich schon lange nicht mehr wie einst, aber die Wechselorgie wollte das so. Letztendlich schrieb ich über Fußball, ohne etwas darüber zu wissen. ‚Das kann eigentlich nicht sein‘ dachte ich und beschloss, mich künftig besser zu informieren. Jetzt lese ich jede Woche fünf Stunden Kicker.

Freitag, 27. August 2021

Seelenschimmel

Da mir zum Schreiben die Inspiration fehlt, hole ich sie mir. Und zwar in Form kleiner Schreibchallenges, deren Ergebnisse ich hier teile. Die Challenges sind simpel. Ich bekomme eine Überschrift vorgegeben, dazu einige Wörter, die ich in meinen Text einbauen muss, wie bei einer Reizwortgeschichte. Für den Text habe ich sieben Tage Zeit...


Challenge Nr. 17


Popelproduktion
schrubben
Schweinefleisch
Mundgulli
nassforsch

Überschrift: Seelenschimmel


Inmitten der Nacht und des Alptraums erwacht,
das Fenster auf Kipp und nen Minztee gemacht,
der Rotwein von gestern steht auf meinem Tisch,
die Zeitung ist alt und mein Mundgulli frisch.
Der Rotwein schmeckt gut, er liegt schwer auf der Zunge,
die Leber schreit „Mehr!“ und ich rauche auf Lunge.

Im Haus lange Stille, dann Kindergekreisch,
ich gehe zum Kühlschrank, ein Rest Schweinefleisch
mit ein paar Kartoffeln und Ketschup und Kraut,
ist gut gegen Hunger und schlecht für die Haut.
Ich schlinge und trinke, greif zur zweiten Flasche,
ein Fleck auf die Tischdecke, die ich nie wasche.

Zum Ende der Flasche im Osten ein Grauen,
ich leg mich ins Bett um ne Tüte zu bauen.
Die Mische zu mäßig, die Geilheit zu groß,
das Gras in der Birne, die Asche im Schoß.
Ich bin super müde, doch Schlaf find ich keinen,
ich schau ein paar Pornos und schrubbe mir einen.

Ich bin aufgekratzt, deshalb geh ich spazieren,
die Stadt erst erwacht, ich ertrag es mit Bieren.
Die Sonne geht auf, --- lange wundert mich schon
dieses Zeug in der Nase, die Popelproduktion
lässt mich kurzatmig werden, ich schnäuz in ein Tuch,
ne Ader platzt auf bei dem Ausschnäuzversuch.

„Na, wieder auf Koks?“ werd ich nassforsch gefragt.
„Immer.“ Doch fast hätt ich „Wichser“ gesagt.
Ich sitz an der Dreisam, ich hasse die Welt,
ich hab wenig Freunde, noch weniger Geld.
Zu Haus leichter Kopfschmerz, ne Kruste am Pimmel,
ich schreib ein Gedicht und es heißt Seelenschimmel.

Montag, 16. August 2021

Frisch Geduschte schlafen länger

Da mir zum Schreiben die Inspiration fehlt, hole ich sie mir. Und zwar in Form kleiner Schreibchallenges, deren Ergebnisse ich hier teile. Die Challenges sind simpel. Ich bekomme eine Überschrift vorgegeben, dazu einige Wörter, die ich in meinen Text einbauen muss, wie bei einer Reizwortgeschichte. Für den Text habe ich sieben Tage Zeit...


Challenge Nr. 16


Eierschalensollbruchstellenverursacher
peitschen
Einfühlungsvermögen
glitschig
Pissnelke

Überschrift: Frisch Geduschte schlafen länger


Früher habe ich täglich geduscht. Jeden Morgen nach dem Aufstehen, meist war es schon mittags, habe ich mich unter die Dusche gestellt, die Haare gewaschen und mich eingeseift. Danach war ich wunderbar sauber und wach und der Tag konnte beginnen. Ich war zufrieden und wäre es wahrscheinlich geblieben, aber die Menschen sind anders. Sie waren entsetzt darüber, dass ich täglich dusche und gifteten mich an: „Das ist total ungesund für die Haut!“ und „Denk doch mal an die Umwelt!“ Das sah ich ein und es erklärte auch die leicht schuppige Haut, also ging ich dazu über, nur noch alle zwei Tage zu duschen. Manchmal vergaß ich, ob ich am Tag zuvor geduscht hatte und duschte nur noch alle drei Tage. Die Menschen nickten zufrieden über mein leicht fettiges Haar, andere Menschen waren anders. Sie gifteten mich an: „Du bist ja eklig!“ und „Das ist ja mega unhygienisch!“  Ich solle gefälligst täglich duschen. Ich versuchte mich zu verteidigen, dass ich an meine Haut und die Umwelt denke, außerdem wechsele ich ja täglich meine Unterwäsche. Aber das wollten sie nicht hören.
Ich habe ein ausgeprägtes Einfühlungsvermögen und möchte es allen Menschen recht machen, also fasste ich einen Plan. Ich traf mich mit den Duschgegnern wann immer ich wollte, mit den Duschfanatikern nur noch an Duschtagen. Das monats- und wochenweise vorausschauende Planen der Treffen war nicht ganz einfach, also legte ich bestimmte Wochentage fest, an denen ich duschen würde. Dienstags und donnerstags, weil D wie Duschtag. Dann der Samstag und als Bonus der Sonntag, weil warum nicht und S wie Schaum.
Jetzt waren alle happy und ich auch, allerdings hatte ich an den Tagen, an denen ich nicht duschte, erhebliche Probleme beim Aufstehen. Oft kam ich nicht vor 12 Uhr aus dem Bett und meistens ging in den ersten Stunden nach dem Aufstehen alles schief. Der Kaffee landete ungemahlen in der French Press, das Müsli in der Kaffeemühle und das Frühstücksei war eine riesengroße Sauerei, weil ich es nicht an der richtigen Stelle aufgeschlagen bekommen habe und den glitschigen Inhalt auf dem Tisch verteilte. Ich kaufte mir einen Eierschalensollbruchstellen-verursacher, ein Werkzeug, von dem ich dachte, dass ich niemals Verwendung dafür finden würde. Die Konstruktion aus Edelstahl kostet gut 20 Euro und wird auf das Frühstücksei im Eierbecher gesetzt, ein Gewicht in Form einer Kugel wird an der Stange nach oben geschoben und aus knapp 30 Zentimetern Höhe fallen gelassen. Danach öffnet sich das Ei angeblich kinderleicht an der idealen Stelle. Es klappte zunächst überhaupt nicht, mit ein bisschen Übung mäßig, mittlerweile esse ich keine Frühstückseier mehr. Der Eierschalensollbruchstellenverursacher liegt ohne Verwendung in der Schublade, nur wenn ich Besuch bekomme beantworte ich regelmäßig und geduldig die Frage nach der sexuellen Praktik, die mit diesem Gerät in Verbindung stehen könnte.
Seit ein paar Monaten frühstücke ich nicht mehr allein, dann geht deutlich weniger schief. Es ist wie mit dem Aufstehen, das klappt dann auch besser. Ich bräuchte jeden Morgen jemanden, der mir die Bettdecke wegzieht und mich aus dem Bett peitscht. Oder mich mit Wasser besprüht, dann bin ich sofort hellwach. Es muss ja nicht mal eine Person sein, eine Maschine würde reichen. Oder eine Pflanze, womöglich können die das auch. Eine Blume oder so. Vielleicht eine Pissnelke.

Mittwoch, 11. August 2021

Kurz vor Knast

Da mir zum Schreiben die Inspiration fehlt, hole ich sie mir. Und zwar in Form kleiner Schreibchallenges, deren Ergebnisse ich hier teile. Die Challenges sind simpel. Ich bekomme eine Überschrift vorgegeben, dazu einige Wörter, die ich in meinen Text einbauen muss, wie bei einer Reizwortgeschichte. Für den Text habe ich sieben Tage Zeit...


Challenge Nr. 15


Bettkante
gediegen
Dauerwelle
Chichi
sprudelig

Überschrift: Kurz vor Knast


Es gibt diese Tage, an denen ich von niemandem etwas wissen will. Tage, an denen ich nicht ans Telefon gehe. Tage, an denen ich mich im Bett wälze, bis ich irgendwann erschöpft von der Bettkante plumpse. Tage, die sich wie eine Woche anfühlen und an deren Ende ich einfach nur froh bin, dass sie vorbei sind. So ein Tag war mein Geburtstag.
Ich bin 36 geworden und es tut ein bisschen weh, dagegen war mein 30. Geburtstag ein Witz. Die 40 rückt näher und in einem Jahr bin ich das, was man „Ende 30“ nennt. Wäre ich Profifußballer geworden, hätte ich jetzt meine Karriere bereits hinter mir und würde nur noch in irgendwelchen Klatschzeitschriften auftauchen, weil ich zum zweiten Mal geschieden bin oder besoffen an irgendeine Hauswand gepinkelt habe. Als Kind habe ich davon geträumt, Profifußballer zu werden, jetzt bin ich froh, dass ich die Fußballschuhe und meine Karriere als Langzeitstudent an den Nagel gehängt habe und endlich ein normales Arbeitsleben beginne.
Früher dachte ich immer, dass ich 72 Jahre alt werde und dann zufrieden sterbe, demnach hätte ich jetzt die Halbzeit erreicht und müsste eine Midlife-Crisis haben. Vielleicht werde ich doch ein paar Jahre älter, da die erwartete Unsicherheit bisher ausbleibt. Ich überlege noch, was ich anstellen werde, wenn es mit der Midlife-Crisis endlich so weit ist. Ich bin nicht der Typ, der sich ein Auto, ein Motorrad oder einen Hightech-Rasenmäher kauft. Ich glaube eher, dass ich körperliche Veränderungen vornehme. Eine Penisvergrößerung ist mir zu teuer und Tattoos mag ich nicht, wahrscheinlich trainiere ich mir ein Sixpack an und lasse mir eine wundervolle Dauerwelle machen. Regelmäßiges Sonnenstudio und Bräunungscreme verpassen mir einen südländischen Teint, ich liege mit Sonnenbrille und Gewinnerlächeln gediegen im Freibad und versuche, den Teenies zu gefallen. Es misslingt mir fürchterlich, ich bekomme eine Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses und zahle eine empfindliche Geldstrafe. Ich bin beschämt und frustriert, ändere meine Pläne und fange an zu backen. Nur Kuchen, keine Torten, ohne Chichi. Ich backe wie bekloppt, will aber nicht dick werden, also verschenke ich an Freunde und Nachbarn. Die freuen sich wie Bolle und backen zurück, ich kann nicht anders und werde dick. Irgendwann bin ich so dick, dass ich keinen Teig mehr ausrollen kann, dann gibt es nur noch Gugelhupf. Ich brauche einen Gehstock und meine Angehörigen diskutieren einen Treppenlift, ich habe die Schnauze voll und mache Radikaldiät.
Ein halbes Jahr später bin ich 50 Kilo leichter, mein Diätarzt ist begeistert und seine Marketingabteilung lässt mich ein Buch schreiben, auf das sich die Dicken stürzen. Ich werde reich, weiß nicht wohin mit meinem Geld und suche mein Heil im Alkohol. Ich begeistere mich für Champagner, der ist teuer genug und herrlich sprudelig. Ich entdecke meine Lieblingsmarke und bestelle wöchentlich zwei Kisten. Nach einem Jahr wird mir ein Job als Markenbotschafter für meine Lieblingsmarke angeboten. Ich reise um die Welt und Flatrate-trinke Champagner. Mittlerweile bin ich Ende 50, habe drei Kinder und die zweite Scheidung hinter mir. Die Kinder werden groß und streiten sich um mein Erbe, ich werde immer kleiner und streite mich mit meiner dritten Frau. Mit Mitte 80 ist dann Schluss und irgendwie ist das für alle ganz gut so. Bei meiner Beerdigung trinken Familie, Freunde und ehemals Dicke Champagner, es gibt Kuchen, keine Torten und irgendwer spielt Musik.
Bis dahin habe ich noch reichlich Zeit, ich mache Sport, stürze mich ins Arbeitsleben und bereite mich auf meine erste Hochzeit vor. Abwarten, vielleicht kommt alles ganz anders. Nächstes Jahr bin ich Ende 30.

Sonntag, 11. Juli 2021

Sommer, Sonne, Kaktus

Da mir zum Schreiben die Inspiration fehlt, hole ich sie mir. Und zwar in Form kleiner Schreibchallenges, deren Ergebnisse ich hier teile. Die Challenges sind simpel. Ich bekomme eine Überschrift vorgegeben, dazu einige Wörter, die ich in meinen Text einbauen muss, wie bei einer Reizwortgeschichte. Für den Text habe ich sieben Tage Zeit...


Challenge Nr. 14


Glühwürmchen
Wimpel
hinfläzen
enorm
schnippeln

Überschrift: Sommer, Sonne, Kaktus


So.
Sommer.
Sommer jetzt.
Sommer jetzt noch.
Sommer jetzt noch?
Sommer jetzt noch einen trinken?
Ich sitze in der Bar und draußen scheint ausnahmsweise mal die Sonne. Ist mir relativ egal, ich bleibe drinnen. Draußen reden sie alle doch nur über das Wetter. Oder Fußball. Oder Impfen. Es ist immer das Gleiche und dann doch wieder ein bisschen anders, am Ende ist es alles der gleiche Scheiß. Ist mir völlig egal. Soll die Sonne doch scheinen und sollen sie heute Fußball gucken: Erst drücken sie sich lachend einen Wimpel in die Hand, dann spielen sie, dann weinen alle und einer gewinnt. Sollen sie sich alle impfen lassen oder nicht, sollen sie doch bitte gesund oder bitte zu Hause bleiben. Mir egal, sowas von egal. Ich will nur noch einen Drink oder ein Bier. Ich kann mich nicht entscheiden, nehme einen Entscheidungs-Shot und bestelle danach beides. Ich trinke schnell, schon sieht die Welt ein bisschen besser aus und ich ein bisschen schlechter. Macht aber nix, sieht ja keiner. Ich mache dem Barmann gegenüber eine unmissverständliche Geste und er stellt mir ein neues Dreiergedeck hin. Ich trinke den Shot, mache dem Barmann gegenüber eine missverständliche Geste, nehme mein Bier und meinen Drink und bewege mich unbeholfen von der Bar zur Sitzbank, um mich hinzufläzen. Zwei Gedecke später die ersten Scherben. Irgendwas muss vorgefallen sein. Der Barmann bringt die Rechnung und zeigt die Tür. Ich zahle die Rechnung und zeige den Vogel. Draußen bin ich raus.

Nicht.
Nicht nochmal.
Nicht nochmal so.
Nicht nochmal Sonne.
Nicht nochmal sonne Scheiße.
16 Monate ist es her. Meine Müdigkeit, was das Corona-Thema anbelangt, hat ein Level erreicht, dass ich während eines Fallschirmsprungs einschlafen könnte. Jetzt gehen die Zahlen wieder hoch und alle reden von der Delta-Variante und einem dritten Lockdown. Wenn ich das nur höre, werde ich wütend, enorm wütend, geradezu fuchsteufelswild. Ich wechsele dann radikal das Thema, ich rede über Selbstverteidigung oder Spinat. Manchmal gehe ich auch wortlos in die Küche und fange an, Gemüse zu schnippeln. Wenn mich jemand darauf anspricht, was ich da mache, antworte ich „Eintopf“ und schnippele weiter. Der Eintopf wird meistens kein Eintopf, sondern eine Suppe. Die esse ich kochend heiß, ich verbrenne mich daran und gehe zum Arzt. Der Arzt schüttelt den Kopf und macht einen Corona-Test. Dann schüttelt er den Kopf und fragt mich, wie ich heiße, wo ich gerade bin und welches Datum wir heute schreiben. Danach schüttelt er den Kopf und ruft die Sprechstundenhilfe.
Zu Hause muss ich meinen Mund mit Hilfe von einem Wattestäbchen mit einer Salbe einschmieren, außerdem bekomme ich eine Mundspülung verschrieben und eine Schonkost. Ich trinke kaltes püriertes Gemüse und träume. Ich träume davon, im Schatten der Bäume an der Dreisam zu liegen. Ich träume davon, in der Dreisam zu baden und danach ein kühles Radler zu trinken. Ich träume davon, am Abend zu grillen und den Grillen beim Zirpen zuzuhören, während die Sonne untergeht. Ich träume davon, in warmen Sommernächten auf der Wiese zu liegen und die Glühwürmchen zu zählen. Ich träume von einem besseren Sommer.
In letzter Zeit habe ich zu viel geträumt und vergessen, meine Zimmerpflanze zu gießen. Die ist langsam eingegangen und sieht ziemlich traurig aus. Im Laden haben sie mir geraten, eine Pflanze zu kaufen, die etwas pflegeleichter ist. Jetzt habe ich einen Kaktus.