Da mir zum Schreiben die Inspiration fehlt,
hole ich sie mir. Und zwar in Form kleiner Schreibchallenges, deren Ergebnisse
ich hier teile. Die Challenges sind simpel. Ich bekomme eine Überschrift
vorgegeben, dazu einige Wörter, die ich in meinen Text einbauen muss, wie bei
einer Reizwortgeschichte. Für den Text habe ich sieben Tage Zeit...
Challenge Nr. 15
Bettkante
gediegen
Dauerwelle
Chichi
sprudelig
Überschrift: Kurz vor Knast
Es gibt diese Tage, an denen ich von niemandem etwas wissen will. Tage, an
denen ich nicht ans Telefon gehe. Tage, an denen ich mich im Bett wälze, bis
ich irgendwann erschöpft von der Bettkante plumpse. Tage, die sich wie eine
Woche anfühlen und an deren Ende ich einfach nur froh bin, dass sie vorbei
sind. So ein Tag war mein Geburtstag.
Ich bin 36 geworden und es tut ein bisschen weh, dagegen war mein 30.
Geburtstag ein Witz. Die 40 rückt näher und in einem Jahr bin ich das, was man „Ende
30“ nennt. Wäre ich Profifußballer geworden, hätte ich jetzt meine Karriere
bereits hinter mir und würde nur noch in irgendwelchen Klatschzeitschriften
auftauchen, weil ich zum zweiten Mal geschieden bin oder besoffen an irgendeine
Hauswand gepinkelt habe. Als Kind habe ich davon geträumt, Profifußballer zu
werden, jetzt bin ich froh, dass ich die Fußballschuhe und meine Karriere als
Langzeitstudent an den Nagel gehängt habe und endlich ein normales Arbeitsleben
beginne.
Früher dachte ich immer, dass ich 72 Jahre alt werde und dann zufrieden sterbe,
demnach hätte ich jetzt die Halbzeit erreicht und müsste eine Midlife-Crisis haben.
Vielleicht werde ich doch ein paar Jahre älter, da die erwartete Unsicherheit
bisher ausbleibt. Ich überlege noch, was ich anstellen werde, wenn es mit der
Midlife-Crisis endlich so weit ist. Ich bin nicht der Typ, der sich ein Auto,
ein Motorrad oder einen Hightech-Rasenmäher kauft. Ich glaube eher, dass ich
körperliche Veränderungen vornehme. Eine Penisvergrößerung ist mir zu teuer und
Tattoos mag ich nicht, wahrscheinlich trainiere ich mir ein Sixpack an und lasse
mir eine wundervolle Dauerwelle machen. Regelmäßiges Sonnenstudio und Bräunungscreme
verpassen mir einen südländischen Teint, ich liege mit Sonnenbrille und
Gewinnerlächeln gediegen im Freibad und versuche, den Teenies zu gefallen. Es
misslingt mir fürchterlich, ich bekomme eine Anzeige wegen Erregung
öffentlichen Ärgernisses und zahle eine empfindliche Geldstrafe. Ich bin
beschämt und frustriert, ändere meine Pläne und fange an zu backen. Nur Kuchen,
keine Torten, ohne Chichi. Ich backe wie bekloppt, will aber nicht dick werden,
also verschenke ich an Freunde und Nachbarn. Die freuen sich wie Bolle und
backen zurück, ich kann nicht anders und werde dick. Irgendwann bin ich so
dick, dass ich keinen Teig mehr ausrollen kann, dann gibt es nur noch Gugelhupf.
Ich brauche einen Gehstock und meine Angehörigen diskutieren einen Treppenlift,
ich habe die Schnauze voll und mache Radikaldiät.
Ein halbes Jahr später bin ich 50 Kilo leichter, mein Diätarzt ist begeistert
und seine Marketingabteilung lässt mich ein Buch schreiben, auf das sich die
Dicken stürzen. Ich werde reich, weiß nicht wohin mit meinem Geld und suche
mein Heil im Alkohol. Ich begeistere mich für Champagner, der ist teuer genug
und herrlich sprudelig. Ich entdecke meine Lieblingsmarke und bestelle
wöchentlich zwei Kisten. Nach einem Jahr wird mir ein Job als Markenbotschafter
für meine Lieblingsmarke angeboten. Ich reise um die Welt und Flatrate-trinke
Champagner. Mittlerweile bin ich Ende 50, habe drei Kinder und die zweite
Scheidung hinter mir. Die Kinder werden groß und streiten sich um mein Erbe,
ich werde immer kleiner und streite mich mit meiner dritten Frau. Mit Mitte 80
ist dann Schluss und irgendwie ist das für alle ganz gut so. Bei meiner
Beerdigung trinken Familie, Freunde und ehemals Dicke Champagner, es gibt
Kuchen, keine Torten und irgendwer spielt Musik.
Bis dahin habe ich noch reichlich Zeit, ich mache Sport, stürze mich ins
Arbeitsleben und bereite mich auf meine erste Hochzeit vor. Abwarten,
vielleicht kommt alles ganz anders. Nächstes Jahr bin ich Ende 30.